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Bevorzugen Konsumenten im Kaufkontext Marken mit Brand Purpose? Wie geht unser Gehirn mit ethischen Nachrichten um? „K&A BrainCandy No. 44“

Heute werde ich mich mal geschwind zwischen alle Stühle setzen. Aber das Thema ist es wert. In der Fachpresse weht seit ein paar Jahren ein ziemlich positiver Wind pro Brand Purpose als den besseren USP. Letzter ist ja von der Zuvielfalt böse ausgebremst worden. Was ist Brand Purpose (Markenzweck) eigentlich? Es gibt keine allgemein akzeptierte Vorstellung, was das sein könnte. Eine Sichtweise ist die Suche nach dem WHY der Organisation. Was ist die Motivation hinter der Firmenidee (neben Geld verdienen)? Nach meiner Erfahrung lohnt es sich sehr, wenn man dieses mit den Firmen zusammen erarbeitet. Es ist auf jeden Fall ein wertvoller Input für eine konsistentere Firmenführung nach innen. Und oft auch für eine stringentere Markenführung nach außen. Zum Beispiel kann es hilfreich sein, den Archetypen im WHY genau zu verstehen und für die Sprachtypik der Firma/Marke zu nutzen.

Aber kaufen Verbraucher grundsätzlich lieber Marken mit Purpose? Es gibt prominente Stimmen, die Brand Purpose als die beste universelle Markenstrategie anpreisen. Der amerikanische Berater und ehemalige P&G Manager Jim Stengel hat diese These mit seinem Buch befeuert: Grow: How Ideals Power Growth and Profit at the World’s 50 Greatest Companies. Er hat die Top 50 Firmen/Marken betrachtet und mit Daten von Millward Brown eine Verbindung zwischen Unternehmensbewertung und den Idealen(Purpose) der Marken gefunden. (Interessanterweise scheint das bisher die einzige gößere Untersuchung zu diesem Thema zu sein. Alle Verfechter beziehen sich auf ihn.) Haben wir also endlich eine Strategie, die immer überlegen ist?

Der Planer und Behavioral Scientist Richard Shotton hat sich die Mühe gemacht, die Arbeit von Stengel tiefer anzuschauen und hat in Fachartikeln ein vernichtendes Urteil getroffen1. Die Analysen waren von Stengel so ausgewählt worden, dass sie seine These „bewiesen“. Beispielsweise wurde der Aktienkurs von Coca Cola mit deren Purpose-Marke Innocent verknüpft. Innocent ist aber nur ein Prozent vom Konzerngeschäft. Diese kausale Verbindung ist schlicht hanebüchen. Shotton listet 10 weitere identische Beispiele auf. Auch die von Stengel definierten „Ideale“ der Marken sind eher Kategorie Leistungen, als dass Verbraucher sie einer Marke zuschreiben könnten. Shotton hat das getestet. Verbraucher können es nicht2! Wenn aber der Brand Purpose nicht breit bekannt ist, wie kann er dann Präferenzen und die Unternehmensbewertung beeinflussen? Übrigens sind viele von Stengels Top Performern inzwischen deutlich eingebrochen.

Shotton sagt selbst, dass mit der Widerlegung von Stengels Beweisen noch nicht der Beweis erbracht worden ist, dass Brand Purpose grundsätzlich nicht arbeitet. Aber er bestätigt meine Erfahrung im Marketing2: „Konsumenten sind komplex. Was in einem Kontext arbeitet, muss in einem anderen Kontext nicht funktionieren.“ „Die meisten denken beim Kauf eines Brotes nicht an soziale Themen.“

Es gibt aber noch eine deutlich anders gelagerte Purpose Auslegung, die sich aktuell steigender Beliebtheit erfreut. Nämlich einen gesellschaftlichen Purpose zu verkünden, also die Welt irgendwo zu einem besseren Platz zu machen. Ohne eine starke Verbindung zur Produktpositionierung. Da redet der Braukonzern Heineken davon, dass man eine bessere Welt braue3 (Brewing a Better World). Und „beweist“ das in einem vier Minuten langen Film, in dem engstirnige Typen auf Transgender Menschen treffen. Diese Begegnungen sollen angeblich Einstellungen verändern, denn man trinkt am Ende ein Bier zusammen. (Warum Bier und warum Heineken?) Oder Starbucks, dass man die lokale Gemeinschaft rund um die Cafés verbessern helfe4.

Der streitbare Marketingprofessor Mark Ritson nimmt in Marketing Week regelmäßig die Versuche von Firmen mit plötzlichem gesellschaftlichen Purpose aufs Korn. Er bemängelt bissig, dass Marketer ihren eigentlichen Auftrag vernachlässigen, nämlich das Profil zu schärfen, Awareness und Attraktivität zu steigern und damit letztendlich für mehr Abverkauf zu sorgen. Genussvoll hat er vor kurzem eine soziale Aktion von Lush5 (frische, vegetarische, handgemachte Seifen/Kosmetik) zerlegt. „Die Kampagne mit dem Hashtag #spycops beinhaltet das Bild eines verschlagen wirkenden Polizisten mit der Unterschrift ‚Paid to Lie‘ und ein bedrohliches Video, in dem ein anderer Polizist sich richtig mies gegenüber einer Frau verhält, die er vernimmt.“ (Lush bezieht sich damit auf eine Affäre, die sich in England in den 70er bis 90er Jahren zwischen verdeckt ermittelnden Polizisten und Sozialaktivisten abgespielt und einiges Vertrauen beschädigt hat.

Quelle: Twitter

Ritson ironisch: „Diese ‚innovative‘ Sommer Kampagne kommt mit herrlichem Merchandisingmaterial, alle Lush Fenster sind mit Polizeiband verziert, das mit ‘POLICE HAVE CROSSED THE LINE‘ bedruckt ist und verschiedene blaue und weiße Boxen mit Kommentaren wie ‘POLICE SPIES OUT OF LIVES‘”. Warum sich die Marke Lush berufen fühlt, eine alte, weitgehend aufgeklärte Affäre um eine Minderheit aufzukochen und alle Polizisten unter Generalverdacht zu stellen, und das als Sommerpromotion, erschließt sich einem nicht. Ein Markenschaden ist wahrscheinlich.

Vor kurzem hat übrigens Dominos Pizza in einigen US Städten begonnen, Schlaglöcher (!) publikumswirksam zu beseitigen6. Weil so sichergestellt werden solle, dass keine Pizzaauslieferung durch Schlaglöcher beschädigt wird. Aha! Immerhin werden die geschlossenen Löcher mit dem Domino Logo gebrandet. Das macht doch gleich Appetit. Brand Purpose oder Brand Blödsinn?

Quelle: Dominos.com

Diese Beispiele erscheinen einem sofort als skurril. Hoffe ich. Und sie verletzen nicht nur wichtige Marketingprinzipien, sie berücksichtigen auch nicht, wie unser Gehirn arbeitet!

Warum fordern Menschen einerseits ethischeres Verhalten von Unternehmen, richten aber ihr eigenes Verhalten selten an diesen Kriterien aus? Weil es unser Gehirn schlicht überfordert, ethische Faktoren abzuwägen! Christian Stöcker schrieb kürzlich in seiner Kolumne auf Spiegel Online, dass es viel zu viel kognitive Kraft benötigt, diese hochkomplexen Abwägungen zu leisten. (Als erfahrener BrainCandy-Leser wissen Sie das natürlich.) Stöcker kommt zum richtigen Fazit: Wenn der Gesellschaft ethischer Konsum wichtig ist, muss sie das gesetzlich steuern. Auch die Politik sollte inzwischen einsehen, dass Menschen zwar prinzipiell einsichtig sein können, aber das eigene Leben nur mit Hilfe des Autopiloten effizient bewältigen können. Bewusste Veränderungen unserer Gewohnheiten sind deshalb so unglaublich schwer. Erinnern Sie sich noch an Ihre guten Vorsätze zum Jahreswechsel? Übrigens hat Merkel 2015 in Stellenanzeigen nach verhaltenswissenschaftlich orientierten Mitarbeitern suchen lassen (Nudging).

Was ist mein Fazit zu Brand Purpose?

1.

Es ist nicht die Wunderwaffe, die uns in der Zuvielfalt mit hinreichender Wahrscheinichkeit mehr verkaufen lässt. Aber genauer hinschauen kann sich lohnen. Firmen/Marken sollten sich unbedingt mit dem inneren WHY beschäftigen. (Ich helfe gerne.) Mehr Konsistenz in der Führung nach innen und außen ist ein echter Nutzen.

2.

Ob ein authentisches WHY tatsächlich Relevanz für die Zielgruppe im Kontext der Kauf- und der Verwendungssituation hat, sollte man sehr sorgfältig prüfen. Nicht durch Befragungen (soziale Erwünschtheit) – sondern durch verhaltensbasierte Verfahren.

3.

Gegenüber gesellschaftsverbessernden Purposes bin ich aktuell näher bei Ritson. Verbraucher sind keine Dumpfbacken und riechen den Braten. Natürlich will jeder, dass Firmen sich ethisch korrekt verhalten. Und das sollten sie auch! Aber dass das in der Breite ausschlaggebend für Kauf ist, bezweifle ich stark. Lidl erlebt bei seinen abgestuften Tierwohlangeboten, dass der Preis für viele die bessere Welt schlägt. Edekas aufwändige Kooperationen mit dem WWF zeigen das auch, die ethisch produzierten Produkte verkaufen schwach. Und VW eilt von einem Absatzrekord zum nächsten.

4.

Natürlich gibt es Firmen, bei denen ein gesellschaftlicher Purpose tatsächlich das geschäftsbegründende WHY darstellt, Body Shop bei Tierversuchen. Oder die Beklei- dungsmarke Patagonia – reparieren lieber, als ein neues Teil zu verkaufen. Gut finde ich, wie es der Schokoladenunternehmer Alfred Ritter macht. Er legt persönlich großen Wert auf die ethischere Herstellung von Rohstoffen, was er in eigenen Kakao-Plantagen glaubwürdig umsetzt. Die Markenkommunikation läuft im Schwerpunkt aber über die genialen Inszenierungen von leckeren Schokoladen, die einen immer wieder ein wenig staunen lassen.

5.

Es ist meist Brand-gefährlich, Budget vom Markenaufbau in übergeordnete soziale Themen zu wandeln. Ausnahmen bestätigen die Regel.

 

Quellen:

1. https://www.huffingtonpost.co.uk/richard-shotton/brand- purpose_b_11679052.html?

2. https://www.contagious.com/blogs/news-and-views/interview-richard- shotton-deputy-head-of-evidence-at-manning-gottlieb-omd

3. https://www.marketingweek.com/2017/05/10/heineken-marketing- purpose-profit/

4. https://www.neighbourly.com/communitycafe

5. https://www.theguardian.com/business/2018/jun/12/dominos-pizza-deliveries-road-repair-potholes-paving-infrastructure

6. http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/ethischer-konsum-wirreichen-suender-kolumne-a-1213258.html

 

 

The author

Ralph Ohnemus, CEO. Director and principle shareholder of K&A BrandResearch since 2001. Was previously a customer of K&A BrandResearch for 15 years. National and international marketing and sales experience in senior management positions including FMCG, fashion, media and telecommunications – most recently as SVP consumer sales responsible for marketing, sales and subsidi- ary chains at Viag Interkom O2.

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