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Welche Faktoren beeinflussen die Wahrnehmung?

Eine Wahrnehmung ist ein aktiver gestalterischer und kreativer Prozess und keinesfalls einfache Abbildung von Wirklichkeit. Insofern ist Wahrnehmung subjektiv. Das heißt, das, was wir sehen, hören, schmecken etc. ist immer auch das Ergebnis einer persönlichen Deutung und einer persönlichen Bewertung. Der Sound einees aufheulenden Motorrads ist für den einen Höllenlärm und Stress (weil er Motorräder hasst) und für den anderen Musik (weil er Motorräder liebt). Für den Musikwissenschaftler ist eine Schönberg-Sonate höchster Kunstgenuss, für den musikalischen Laien oder den Volksmusik-Fan ein schauerliches Gedudle.

Doch wovon hängt es ab, wie wir etwas wahrnehmen?

Angeborene Faktoren

Ein Beispiel dafür, dass angeborene Verarbeitungsstrukturen die Wahrnehmung beeinflussen, ist das so genannte Kindchenschema, das Konrad Lorenz erstmalig beschrieben hat: „Kindliche Formen“ (rundes, großes Gesicht, kurze Extremitäten, große tiefliegende Augen,….) wecken bei Menschen spontan freundliche und liebevolle Gefühle, die dazu angetan sind, bei Menschen Empathie, Fürsorge, Freundlichkeit zu provozieren.

Das Kindchenschema verursacht, dass wir kleinen Kindern (und bestimmten Tieren) mit Zuwendung und Fürsorge begegnen. (Spinnen und Schlangen kommen allerdings nicht in Genuss dieser biologisch begründeten positiven Emotionen. Gerecht ist das nicht!)

Auch die Gestaltgesetze sind angeborene Strukturen, die die Wahrnehmungsorganisation steuern. Damit zusammen hängen auch bestimmte „Fallen“, in die wir tappen, wenn wir Wahrnehmungstäuschungen unterliegen. Das erklärt, weshalb wir diesen Wahrnehmungstäuschungen immer wieder „aufsitzen“, obwohl wir rational um die Täuschung wissen.

 

 

Wichtige Gestaltgesetze

unterschiedliche Gestaltgesetze
unterschiedliche Gestaltgesetze

Typische Wahrnehmungstäuschungen

Wahrnehmungstäuschungen
Wahrnehmungstäuschungen

Soziokulturelle langfristige Faktoren

Wie Empfindungen verarbeitet werden, hängt auch von der Kultur bzw. vom soziokulturellen Milieu, aus dem der wahrnehmende Mensch kommt, ab. So gibt es zwischen Kulturen und Milieus höchst unterschiedliche Vorstellungen darüber, was als schön oder hässlich empfunden wird. Das gilt für weibliche oder männlichen Schönheitsideale ebenso wie für Kleider, Wohnungseinrichtung, kulinarische Vorlieben oder den Musikgeschmack.

Persönlichkeitsfaktoren, individuelle Lerngeschichte

Langfristige persönliche Faktoren, eigenes Wissen, eigene Vorerfahrungen u. a. m. beeinflussen die Wahrnehmung ebenfalls.

 

Verschiedene psychologische Untersuchungen haben gezeigt, dass Objekte umso größer eingeschätzt werden, je höher ihr Wert geschätzt wird. (Spielzeug bei Kindern, Münzen bei Erwachsenen). In einem Experiment ließ man Kinder den Weihnachtsmann zu verschiedenen Zeitpunkten zeichnen. Es stellte sich heraus, dass der Weihnachtsmann umso größer gezeichnet wurde, je näher das Weihnachtsfest rückte.

 

Stell dir vor, drei Personen sind in einem Park mit einem Renaissance-Schloss: ein Gärtner, ein Kunstgeschichte-Student, ein Unternehmer, der Räumlichkeiten für ein Luxus-Hotel sucht. Je nach Wissen und Vorerfahrungen werden sie denselben Park völlig unterschiedlich wahrnehmen.

Schloss (Symbolfoto)
Schloss (Symbolfoto)

Momentane (kurzfristige) Einflussfaktoren

Stell dir vor, du gehst durch die Marktstraße in Dornbirn: Was wirst du vor allem wahrnehmen, wenn du

  • großen Hunger hast?
  • das Kind, auf das du aufpassen solltest, im Getümmel verloren hast?
  • unbedingt den nächsten Zug erreichen musst?
  • einen gemütlichen Schaufenster-Bummel machen möchtest?

 

Ein klassisches Experiment, das zeigt, wie unsere Erwartungshaltung unsere Wahrnehmung beeinflusst, findest du auf YouTube:

 


Arbeitsaufgaben

Schönheitsideale in unterschiedlichen Kulturen (Tuk Tuk)
Schönheitsideale in unterschiedlichen Kulturen (Tuk Tuk)

A1W: Erkläre kurz, was das Kindchenschema ist und durch welche körperlichen Merkmale es ausgelöst wird. Suche im Internet nach Bildern aus möglichst unterschiedlichen Bereichen, in denen das Kindchenschema sichtbar wird. Wo spielt das Kindchenschema im realen Leben eine Rolle? Welche biologische (evolutionsbiologische) Funktion hat es? Können Menschen „verlernen“, auf das Kindchen-Schema zu reagieren?

 

A2T: Zeige an Bildern aus dem 20. Jahrhundert, wie sich auf Frauenkleidung / Männerkleidung / Frisuren o. a. das jeweilige Schönheitsideal geändert hat. [Alternativ kannst du auch das Bild, das extreme weibliche Schönheitsideale aus unterschiedlichen Kulturen zeigt, erklären. Nähere Informationen dazu findest du hier. ]

 

A3WR: Zeige an einem persönlichen Beispiel, dass und wie die persönliche Vorerfahrung, die persönliche Haltung und die persönlichen Interessen die Wahrnehmung beeinflussen können.

 

A4WR: Zeige an einem persönlichen Beispiel, wie momentane Motive, Interessen und Aufmerksamkeitsstrukturen die Wahrnehmung beeinflussen.

 

A5T: Wähle zwei möglichst gegensätzliche Bilder aus. Charakterisiere die Menschen, die in diesen Räumen leben [Alter, Geschlecht, Beruf, Einkommenssituation, politische Einstellung, …]. Begründe dein Urteil. (Vorurteile kannst du in deine Analyse ruhig miteinfließen lassen). Überlege, in welchen Räumen du sebst gerne leben möchtest und welche Räume für dich unerträglich wären. Versuche zu erklären / zu begründen, warum.

 

A6ZDiese Bilderfolge (Spiegel online) zeigt wie Erwartungshaltungen und Vorinformationen unsere Wahrnehmung beeinflussen. Schau sie dir an. Den Artikel dazu findest du hier. [Hier findest du auch die Lösung zur Bilderfolge]. Alternativ dazu kannst du auch diesen Videoclip berachten.


Internetlinks

  • Wikipedia über das Kindchenschema.
  • interessante Webseite über das Kindchenschema in Zusammenhang mit dem weiblichen Schönheitsideal.
  • Hier findest du eine kritische Seite (Cyclomedia) über Schönheitsideale
  • Hier findest du ein privates, gut gemachtes Video über Schönheitsideale in der Geschichte.
  • Hintergrundinformationen zum Objekt Tuk Tuk findest du hier
  • Dieser Artikel zeigt eindrücklich, wie Erwartungshaltungen die Wahrnehmungen steuern und uns geradezu blind machen können.
  • In der Quarks-Sendung gibt es einen Videoclip über eine ausgetauschte Auskunftsperson. Das ist auf jeden Fall sehenswert, wie auch die anderen Sendebeiträge. Einen Überblick dazu findest du hier.