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K+A BrainCandy No. 35 „Emotionen entstehen anders. Ganz anders. Wir duerfen neu denken.“ von Ralph Ohnemus

Emotionen entstehen anders. Ganz anders. Wir dürfen neu denken.

Es ist selten, dass mich ein neues Fachbuch so richtig berührt. Jetzt ist es aber passiert. Ein Neuromarketing Podcaster interviewte die Psychologie Professorin Lisa Feldman Barrett. Und Minuten später hatte ich ihr neustes Buch auf dem iPhone. „How Emotions Are Made“. Und jetzt kann ich mein Emotionsverständnis neu formatieren. Aber endlich weiß ich, warum es so große logische Brü- che gab. Einerseits haben wir mit Hilfe von Hirnströmen und Mimikanalysen nach den archaischen emotionalen Standardreaktionen gesucht. Andererseits wissen wir, dass Verhaltenstherapie Emotionen massiv verändern kann. Was denn nun? Sind Emotionen hart verdrahtet oder erworben? Nature or nurture? Fangen wir an.

Was ist die aktuelle Story zu Emotionen? Etwas vereinfacht: Emotionen sind in uns angelegt, bestimmte Gehirnbereiche (z.B. limbische) beherbergen diese universellen, archaischen Emotionen. Häufig findet ein interner Widerstreit zwischen Emotionen und Denken statt. Dieser ‚primitive‘ Teil des Gehirns möchte ihrem Boss sagen, dass er ein Idiot ist. Ihre rationale Seite bremst, sie wollen ja nicht gefeuert werden.

Demnach unterliegen wir einer Art Reiz- Reaktionsmuster. Es passiert uns etwas und es entsteht quasi automatisch eine Emotion, die wir vielleicht mit Selbstkontrolle begrenzen können. Die Muster sind universell, also bei Jedem ange- legt, egal aus welchem Kulturkreis. Ein deutscher Autofahrer echauffiert sich demnach genauso wie ein Italiener(?). Und dazu kommt: Diese Emotionen werden von bestimmten körperlichen Reaktionen begleitet. Beispiel Angst. Der Herzschlag beschleunigt sich, um mehr Sauerstoff zur Verfügung zu stellen und mehr Muskelleistung für die Flucht zu gewährleisten. Die Pupillen weiten sich, um das Sichtfeld zu erweitern. Die Gesichtsmuskeln verspannen sich und bilden das typische Angstgesicht.

Der berühmte Psychologe Ekman hat seit den 80er-Jahren das Prinzip der Basisemotionen auf- gestellt und argumentiert, dass die auf Bildern wie diesen gezeigten Emotionen von allen Kulturkrei- sen sicher entschlüsselt werden können.

Sein Denken geht übrigens auf Darwin zurück. Das Universalgenie hatte die große Erkenntnis, dass die Evolution kein bestimmtes Endziel verfolgt. Interessanterweise hat er dagegen die Emotionen als determiniert, also nicht durch das Umfeld geprägt, definiert. Ekman hat diese Darwinsche Ein- schätzung durch seine Forschung bestätigt und darauf auch Geschäftsmodelle gesetzt. Z.B. schult sein Team Sicherheitskräfte an Flughäfen, die an- hand der Muskelbewegungen im Gesicht die Emotionen dekodieren und damit angeblich eine deutlich erhöhte Trefferquote haben.

Auch die Marktforschung hat sich der Basisemotionen bedient. So werden zur Messung von Gefühlen die Ekmanschen Emotionsbilder eingesetzt. Und es hat sich ein großer Zweig von apparativer Emotionsmessung gebildet. Gehirnströme werden an bestimmten Punkten gemessen, Pupillen, Herzschlag und Körpertemperatur erfasst. Und es gibt inzwischen auch verfeinerte Methoden die Ge- sichtsausdrücke bestimmen, man erfasst nun kleinste Muskelbewegungen im Gesicht. Weil wir doch nicht so extrem grimassieren, wie auf Ekmans Bildern? Auch wir haben in diesen Bereichen viel geforscht. Leider waren wir mit den Ergebnissen nie richtig glücklich. Die Schwankungsbreite der Ergebnisse ist viel zu hoch. Und die Werte verändern sich bei Wiederholungsmessung zu stark.

Und dafür gibt es einen guten Grund. Die neuere neuronale Hirnforschung zeigt, dass die vorherrschenden, scheinbar plausiblen Annahmen nicht stimmen. Darwin hat uns auf die falsche Spur ge- setzt. Sein Model wurde von Anfang an kritisiert, aber aufgrund der hohen Plausibilität nie vom Sockel geholt. Aber inzwischen wird die Kritik an Ekmans Schule richtig laut. Er hat schon lange keine Studien mehr durch Peer-Reviews prüfen lassen und bleibt auch Nachweise zum Erfolg seiner Trainings schuldig. Dafür hat u.A. Feldman Barrett Ekmans internationalen Studien nachgestellt. Und kommt zum Ergebnis, dass Ekmans Forschungsdesign seine Ergebnisse erzeugt hat. Nur, wenn man extreme Gesichtsausdrücke mit sehr trennscharfen Emotionsbeschreibungen kombiniert, gibt es relativ viele richtige Zuordnungen. Lässt man nur die Bilder ‚sprechen‘, ist die Trefferquote überraschend niedrig – und kulturell zeigen sich deutliche Unterschiede.

Neurologen bestätigen inzwischen, dass sie Emotionen nicht lokalisieren können. Ein schwerer Schlag gegen das biologisch determinierte Model. Unser Gehirn nutzt die Fähigkeit individuelle neu- ronale Netzwerke zu erstellen, auch bei der Verknüpfung von Emotionen. Deshalb ist bei jedem der neuronale Ort einzelner Emotionen etwas anders. Eine Ausnahme scheint es bei Angst zu geben, hier ist die Amygdala meist involviert. Das ist sie aber auch oft bei anderen Emotionen. Aber wiederum nicht regelmäßig. Sie braucht auch gar nicht involviert zu sein. Ähnliches gilt für die Ge- sichtsmuskelmessung. Die Muskelbewegungen zeigen nicht zuverlässig, ob jemand gerade sauer, traurig oder ängstlich ist. Also gibt es auch hier den festen Emotionsausdruck nicht. Bestenfalls können die Muskelzuckungen ein Indiz liefern, ob man sich eher wohl oder unwohl fühlt. Und selbst diese Bewegungen korrespondieren nicht mit Ekmans Standard-Gesichtsausdrücken.

Geht es Ihnen wie mir? Irgendwie ‚fühlen‘ wir aber doch, dass wir von Emotionen heimgesucht werden. Und wir sind uns sicher, bei unserem Gegenüber die Emotionen gut lesen zu können. Ekman muss doch Recht haben! Aber Sie wissen auch, dass wir einen furchtbar schlechten Zugang zu den Arbeitsprozessen unseres Gehirns haben. Natürlich erleben wir manche Emotionen als sehr stark. Aber woher kommen diese Reaktionen? Oder sind es etwa gar keine Reaktionen, sondern etwas anderes? Gewöhnen Sie sich schon mal an den Gedanken, dass Sie Ihre Emotionen mitgestalten.

Und können wir sicher sein, dass wir unsere eige- nen Emotionen überhaupt richtig erkennen? Seien Sie sich nicht zu sicher! Wo Sie ganz sicher sein können: Sie lesen die Emotionen Ihres Gegen- übers nur dann (vielleicht) richtig, wenn Sie seinen aktuellen Lebenskontext wirklich genau kennen. Wenn Sie nur ein Foto eines Bekannten haben, den Sie seit einiger Zeit nicht getroffen haben, wird Ihre Einschätzung ziemlich sicher falsch sein; Sie werden es nur nicht erfahren, da man üblicherweise nicht darüber spricht. „Sag mal, auf dem Foto bist Du so depressiv, was ist mit Dir denn los?“ „Wie kommst Du nur auf depressiv?? Ich hatte gerade über den Nachtisch gegrübelt!“

Wie Emotionen tatsächlich entstehen und welche Rolle sie spielen, schauen wir uns im nächsten BrainCandy an. Zum Schluss noch ein Beispiel,

warum es keine standardisierte Basisemotion mit Standard-Körperreaktionen geben kann: Nehmen wir die Basisemotion Glück, dann haben wir einen schönen AbschlussStellen Sie sich kurz eine wirklich glückliche Situation für sich vor. Wie war das? Haben Sie glücklich gelächelt? Haben Sie vor Glück geweint? Haben Sie etwa geschrien vor Glück? Haben Sie Ihre Ar- me vor Glück gehoben? Haben Sie Ihre Fäuste vor Glück geballt? Sind Sie auf- und abgesprungen und haben mit allen Umstehenden highive vor lauter Glück gemacht? Oder sind Sie vor lauter Glück wie vom Donner gerührt sprachlos verharrt? Egal. Ich wünsche Ihnen auf jeden Fall viele dieser emotio- nalen Episoden in den nächsten Wochen. Freuen Sie sich ruhig schon mal drauf, das hilft. Sagt jetzt auch die Wissenschaft.

 

Literatur:

1. Feldman Barrett, Lisa: How Emotions Are Made, The Secret Live of the Brain. Macmillan Verlag 2017

2. https://de.wikipedia.org/wiki/Paul_Ekman

 

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