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Hirnforschung: Wo Moral und Emotionen herkommen – WELT

Sehr zu empfehlen!

 

WISSENSCHAFT     HIRNFORSCHUNG

Wo Moral und Emotionen herkommen

Von Elke Bodderas | Veröffentlicht am 21.03.2007

Der Signalweg im Hirn

Quelle: Infografik DIE WELT

 

Forscher entdecken, wo im Hirn das ethische Empfinden sitzt. Mörder zum Beispiel haben oft im Stirnbereich schwere Hirnschäden. Ob es um die Wahl eines Pullovers oder eines Autos geht – immer sind Moral und Emotionen im Spiel.

 

Es sind Szenen wie diese, die Hirnforscher faszinieren. Ein Freund hat Aids. Er beschließt, andere Menschen heimlich zu infizieren – einige werden sterben, so viel steht fest. „Was nur“, so fragten jetzt Neurologen der Harvard-Universität ihre Probanden,

„würden Sie tun? Würden Sie Ihren Freund töten, um das Leben der anderen zu retten?“

Die meisten Probanden des psychologischen Tests antworteten ausweichend oder sagten, sie sähen sich nicht in der Lage zu töten. Das beschreiben die Neurowissenschaftler in der heutigen Ausgabe des Fachmagazins „Nature“. Das besondere Interesse der Hirnforscher weckten die Antworten von Testpersonen, bei denen eine Hirnregion hinter Nase und Stirn zerstört ist, die in den Medizinbüchern unter dem Namen „präfrontaler Cortex“ beschrieben ist. Sie antworteten ungewöhnlich kühl und kalkuliert. Die einzig logische Entscheidung, so gaben die sechs Probanden zu Protokoll, sei diese: Um viele Menschenleben zu retten, müsse man bereit sein, ein Leben zu opfern.

 

Pullover, Auto, Ehepartner – Moral und Emotionen

Ausgedacht hat sich diesen Versuch Antonio Damasio, Neurologe an der University of Iowa. Insgesamt befragte er 30 Leute, zwölf davon ohne Hirnschäden, zwölf mit Verletzungen in anderen Regionen und die restlichen sechs mit Läsionen im präfrontalen Cortex. Damasio hat schon viele Experimente durchgeführt, die den Einfluss von Emotionen auf das Handeln und Denken des Menschen beschreiben. Seine These lautet: Egal ob es um die Wahl eines Pullovers, eines neuen Autos oder eines Ehepartners geht – immer sind bei den Entscheidungen Moral und Emotionen auch mit im Spiel.

Dass der präfrontale Cortex eine wichtige Rolle bei der Entscheidungsfindung des Menschen spielt, vermuten Forscher schon seit Längerem. Aber dass Moral so offensichtlich mit Emotionen einhergeht, das hat die Hirnforscher verblüfft. Der präfrontale Cortex ist die mit Abstand aktivste Region im Gehirn – sie zeigt sich bei geistigen Anstrengungen am aktivsten und wird sogar im Schlaf nicht müde, wie vor Kurzem Forscher der University of San Diego mit Erstaunen feststellten: Auch wenn ein Mensch unter Schlafentzug steht, kämpft die aktivste Region im Gehirn noch gegen die Leistungsverringerung an.

 

Menschen mit Hirndefekt reagieren eiskalt

Damasio deutet den präfrontalen Cortex im Gehirn als eine Art Mittler zwischen Gefühl und Verstand. Seiner Ansicht nach verschaltet diese Region die Gefühle, die im limbischen System entstehen, mit den rationalen Abwägungen der handlungsstarken Großhirnrinde.

Menschen mit diesem Defekt erweisen sich oft als völlig unfähig, ihren Alltag zu bewältigen – obwohl ihr Verstand völlig in Ordnung ist und ihre Intelligenz alle Tests besteht. Ohne diese Verknüpfung, das steht für Damasio fest, handelt der Mensch wie aus einer kalten Starre heraus. „Jede Entscheidung“, erklärt der Neurologe, „braucht eine emotionale Regung. Aus purem Verstand heraus kann der Mensch nicht handeln.“

Dass der Gesundheitszustand der Hirnregion über die kriminelle Laufbahn eines Menschen entscheiden kann, zeigten unter anderem Studien aus Deutschland. Der Hirnforscher Professor Gerhard Roth, Direktor des Instituts für Hirnforschung und Rektor des Hanse- Wissenschaftskollegs in Delmenhorst bei Bremen, plädiert deshalb seit Langem dafür, Hirnscans von Schwerverbrechern als Beweismittel vor Gericht zuzulassen. „Die Existenz schwerer Hirnschäden im Stirnhirnbereich ist bei Mördern hochsignifikant“, sagte Roth im Interview mit WELT ONLINE. „Kernspintomografien werden in der Gerichtspsychiatrie eine wachsende Rolle spielen und gerichtspsychiatrische Gutachten ergänzen“. Die Schäden sind sogar therapierbar – „indem man Zentren im Stirnhirn stärkt“, sagt Roth.

Quelle: Welt

 

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